Der RKW BW-Fachberater Arndt Bantle rechnet in den kommenden Wochen und Monaten mit einer steigenden Zahl an Insolvenzen bei mittelständischen Unternehmen. Der Unternehmensberater mit den Schwerpunkten Sanierung, Restrukturierung und Turnaround nennt als wichtigste Gründe: Sinkende Auftragseingänge zusammen mit fehlender Kapitaldienstfähigkeit und nicht ausreichende, integrierte Liquiditätsplanung zur Prävention.  Der RKW BW-Fachberater Arndt Bantle plädiert für Risikofrüherkennung durch Frühwarnsysteme. Im Interview mit RATIO kompakt betont er: „Risikomanagement und zahlenbasierte Unternehmenssteuerung sind primär eine Managementaufgabe. Ohne die klare Formulierung von Vision und Strategie und daraus abgeleiteten operativen Maßnahmen sowie deren Überführung in die Zahlenwelt ist dies schwierig umzusetzen bzw. suboptimal. Ich muss am Ende als Unternehmenslenker ja wissen, wann betrachte ich eine Veränderung als mögliches bzw. schon als akutes Risiko, das zum weiteren Handeln zwingt.“

RATIO kompakt: Sehr geehrter Herr Bantle, wie schätzen Sie die aktuelle Situation für mittelständische Unternehmen in Baden-Württemberg ein? Rechnen Sie mit einer Insolvenzwelle? Und welche Branchen sind aus Ihrer Sicht besonders betroffen?
Arndt Bantle: Der Mittelstand in Baden-Württemberg ist durch den steigenden digitalen & auch strategischen Transformationsbedarf bei steigendem Kostendruck ( Energie / Personal etc.)  und den negativen politischen Einflüssen  dazu gezwungen Anpassungen und Veränderungen schnell & effizient anzugehen. Und dies bei aktuell schlechter Auftragslage. Gerade deshalb gilt es Strategie und Geschäftsmodelle zu hinterfragen, Wertschöpfungsprozesse zu optimieren, organisatorisch agiler zu werden und die Digitalisierung kostenreduzierend zu nutzen. Dies betrifft auch die Unternehmenssteuerung und das Controlling. Hier muss man sich zum Teil neu orientieren bzw. auch die ganzheitliche Sicht fokussieren - insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit und die Attraktivität für die Kunden. Ich denke, dass die Zahl der Insolvenzen steigen wird. Gründe kurzfristiger Natur sind: Fehlende Kapitaldienstfähigkeit bei gestiegener Verschuldung, u.a. auch der Corona-Effekt, fehlende Kosteneffizienz und nicht ausreichende kurz- bis mittelfristige Liquiditätsplanungen zur Prävention. Der Veränderungsbedarf ist nicht wirklich identifiziert bzw. umgesetzt, notwendige Finanzmittel sind bei schwächerer Ertragslage und fehlender Substanz schwieriger zu realisieren. Bei den Branchen kann ich nur für die Fertigungsindustrie sprechen, also insbesondere Automotive oder Maschinenbau.

Ein zentrales Thema ist die drohende Zahlungsunfähigkeit. Wie ist Ihre Einschätzung?
Ich denke hier sprechen Sie einen zentralen Punkt an. Mit Einführung des StaRUG, dem  Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes in 2021, wurden zwar Vorschriften zur Krisenfrüherkennung und -management sowie die Pflicht für Gegenmaßnahmen gesetzlich geregelt, aber viele Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer von mittelständischen Unternehmen fragen sich doch: Wie setze ich das um, mit welchen Tools und Kennzahlen, insbesondere im Finanzbereich? Wo greift das Insolvenzrecht bzw. wie grenzt sich die Zahlungsunfähigkeit von der drohenden Zahlungsunfähigkeit ab? Letztendlich müssen KMU wie auch große Mittelständler eine mittelfristige integrierte Unternehmensplanung  sowie einen wochenbasierten kurzfristigen Finanzplan zur Überwachung der Liquidität haben und laufend fortschreiben. Hier bilden sich ganzheitlich Strategie, Wertschöpfung und alle Prozesse sowie alle weiteren Cash Flows zahlenbasiert ab.

Welche Pflichten ergeben sich für Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer daraus konkret?
Um einer persönlichen Haftung zu entgehen, ist in § 1 StaRUG eine Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement geregelt. In der Praxis steht am Ende eine der Unternehmensgröße und -komplexität angepasste Planungsrechnung, die daraus abgeleitet die Durchfinanzierung dokumentiert bzw. frühzeitig Engpässe erkennt und in Zahlen ausdrücken kann. Hier werden 24 Monate als relevanter Planhorizont definiert. Eine rollierende kurzfristige Liquiditätsplanung von mindestens 13 Wochen sollte ohnehin zur Beurteilung der Zahlungsfähigkeit Standard sein. Auch die eingeleiteten Gegenmaßnahmen zur Beseitigung möglicher Deckungslücken sind zu dokumentieren. Im Vorfeld sind aber natürlich auch andere Risiken zu identifizieren und zu bewerten, und natürlich ist es wichtig gegenzusteuern, noch bevor es in der Liquidität sichtbar wird. Ein gutes internes oder durch einen Unternehmensberater aufgebautes, externes Controlling bilden die Anforderungen aber sicher ab – und ist ein hervorragendes Instrument des Risikomanagements.

Eine Möglichkeit, die aus Erfahrung des RKW BW im Mittelstand trotz StaRUG noch viel zu wenig angewendet wird, ist gerade die Etablierung eines Frühwarnsystems zur Krisenfrüherkennung.
Dies ist sicherlich auch ein richtiger Punkt, den Sie ansprechen. Relevant scheint mir aber auch vielfach die fehlende Kapazität bzw. nicht vorhandene Expertise zu sein. Oft wird hier am falschen Ende gespart. Hier passt die Aussage: „Man arbeitet im und nicht am Unternehmen.“

Welche Chancen bietet die Einrichtung eines Frühwarnsystems und die Etablierung von Risikomanagement? Wie funktioniert es, worauf kommt es hier an?
Risikomanagement und zahlenbasierte Unternehmenssteuerung sind primär eine Managementaufgabe. Ohne die klare Formulierung von Vision und Strategie und daraus abgeleiteten operativen Maßnahmen sowie deren Überführung in die Zahlenwelt ist dies schwierig umzusetzen bzw. suboptimal. Ich muss am Ende als Unternehmenslenker ja wissen, wann betrachte ich eine Veränderung als mögliches bzw. schon akutes Risiko, das zum Handeln zwingt. In der Praxis wird die Frühwarnfunktion über Kennzahlen aus den relevanten Bereichen gesteuert. Vereinfacht gesagt: Soll-Ist-Abgleich plus Definition von Schwellenwerten. Die Kunst ist, ganzheitlich die für ein Unternehmen relevanten Kennzahlen in ein effektives Risikomanagement zu überführen. In Bezug auf die Liquidität ist natürlich ein integrierter und rollierender Plan mit Soll-Ist-Abgleich ein Muss.

Das Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) regelt das Restrukturierungsrecht, Sie haben es schon kurz erwähnt. Was ist das Ziel, was umfasst das Gesetz, wie grenzt es sich gegen das Insolvenzrecht ab und gegenüber der außergerichtlichen Sanierung?
Das StaRUG ergänzt als moderner Baustein das bestehende Restrukturierungs- und Insolvenzrecht zwischen der außergerichtlichen Sanierung mit IDW S6-Gutachten und Fortführungsprognosen und der gerichtlichen Restrukturierung, also der Insolvenzordnung. Ziel ist es, den in die Krise geratenen Mittelständler mehr Gestaltungsoptionen zu geben. Über das klar geregelte Verfahren, namentlich dem Restrukturierungsplan und die Sanierungsmoderation, können notwendige Maßnahmen schneller und vielfach über Widerstände hinweg umgesetzt werden. Für mich wesentlicher ist aber die Kodifizierung der Krisenfrüherkennung und des Krisenmanagements für das haftungsbeschränkte Unternehmen wie zum Beispiel die GmbH. Mit dem StaRUG wird explizit ein System zur Früherkennung von finanziellen Risiken eingefordert, mit dem über einen Zeitraum von jeweils 24 Monaten eine drohende Zahlungsunfähigkeit erkannt werden kann. Das verpflichtende Frühwarnsystem zielt dabei auf den ganzheitlichen Ansatz potenzieller Unternehmensrisiken.

Herr Bantle, Sie sind als Unternehmensberater und RKW BW-Fachberater Spezialist für Sanierung und Turnaround. Sie werden also häufig gerufen, wenn sich ein Unternehmen in der Liquiditätskrise befindet und in der Regel nur noch wenig Zeit zum Handeln bleibt. Das RKW BW setzt sich ein für die Wahrung der mittelständischen Struktur im Baden-Württemberg. Wie wird aus Ihrer Sicht die Bestandsfähigkeit von KMU am besten gewährleistet?
Zur Bestandssicherung von KMU gehören eine klare Strategie sowie ein nachhaltiges Geschäftsmodell. Die Strategie - mit klarer Vision und Zielansprache - und das Geschäftsmodell sollten frühzeitig in eine Planrechnung überführt und laufend plausibilisiert bzw. fortgeschrieben werden. Die Prozessabläufe in der Wertschöpfung, aber auch in den Managementprozessen und explizit im Controlling sollten effizient aufgestellt und mittels Digitalisierung transparent unterstützt werden. Hier schließt sich auch der Kreis zum Grundgedanken des StaRUG. Risikofrüherkennung sollte bereits vor der akuten bzw. kommenden Liquiditätskrise ansetzen und alle Aspekte berücksichtigen. Hierzu gibt es Frühwarnsysteme und Kennzahlen von der Strategie bis zur Produktion, die das negative Abweichen von der Soll-Konzeption rechtzeitig ankündigen und gegebenenfalls Anpassungen einfordern.

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