Digitale Transformation, Fachkräftemangel, Wertewandel im Berufsleben und tiefgreifende Krisen in kurzer Abfolge: Die Herausforderungen, vor denen Unternehmen stehen, sind groß. „Zwischen Inspiration und Überhitzung“ lautete der dazu passende Untertitel des RKW Forums am 19. Oktober in Stuttgart. Im Fokus stand die Frage, wie erfolgreiche Führung in einer neuen Arbeitswelt aussehen kann.

In den Räumlichkeiten der Baden-Württembergischen Bank begrüßte Martin Peters, der Vorstandsvorsitzende des RKW Baden-Württemberg, die Besucherinnen und Besucher beim gut besuchten RKW Forum 2023. Den Fachkräftemangel benannte er als die absehbar größte Herausforderung, vor der insbesondere mittelständische Betriebe in den kommenden Jahren stehen. Dass sich ausgerechnet in dieser Lage das Wachstum der Arbeitsproduktivität immer weiter abschwäche, stelle auch Fragen an Konzepte von „New Work“, „New Culture“ und danach, wie Arbeit in den Unternehmen wieder schneller, agiler und innovativer gestaltet werden könne.

Als Expertin zu diesen Themen war Heike Bruch eingeladen. Die Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen beschäftigt sich in Wissenschaft und Praxis mit neuen Führungs- und Arbeitsformen. Ihr besonderes Interesse gilt der Frage, wie die Potenziale von Beschäftigten im Unternehmen genutzt werden und welche Faktoren darauf besonders starke Auswirkungen haben. Die Dimension der Herausforderungen machte Prof. Heike Bruch zu Beginn ihres Impulsvortrags deutlich. Die Gegenwart sei unruhig, doch von heute aus betrachtet werde sich der Wandel in der Arbeitswelt noch deutlich beschleunigen und dabei auf unbekanntes Terrain führen: „Wir betreten Land, auf dem noch kein Unternehmen und kein Mensch zuvor war“, prognostizierte sie.

Die Expertin erläuterte den Begriff der „Energie“ als wissenschaftlich etablierte Kategorie. Anhand einer Matrix zeigte sie auf, dass Energie in einem Unternehmen positive und negative Auswirkungen entfalten kann, je nach Intensität und Qualität. In der von ihr mitgegründeten „energy factory“ hat sie mit ihrem Team Instrumente zur Messung und Bewertung von Energiezuständen in Gruppen und ganzen Firmen erarbeitet.

Eine zentrale Erkenntnis lautet, dass erst die richtige Balance gesunde Hochleistung hervorbringt. Ein zu hohes Energielevel im Unternehmen bei mangelnder Zufriedenheit der Beschäftigten führt zu Stress, Überhitzung und Burnout und stellt damit eine zerstörerische, „korrosive“ Energie dar. Ein Betrieb in diesem Zustand ist als Arbeitgeber nicht attraktiv, was in Zeiten des gerade erst wirksam werdenden demografischen Wandels existenzgefährdend sein könne. Ausschließlich den „Druck im Dampfkessel“ zu erhöhen, um auf Herausforderungen zu reagieren, führe unweigerlich in die „Beschleunigungsfalle“, in der sich bereits drei Viertel aller Unternehmen befänden.

Benefits wie Dienstfahrzeuge, flexible Arbeitszeitmodelle, Gratisgetränke oder der viel zitierte Obstkorb könnten zwar ein Beitrag zur Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sein, erläuterte die Expertin. Entscheidend sei jedoch, wie der Arbeitsplatz emotional erlebt werde. Führung und Unternehmenskultur müssten die Bedeutung des Einzelnen und des Teams herausstellen. Alle Beteiligten müssten einen Sinn in ihrem Tun erkennen. Prof. Bruch referierte das Beispiel eines Arbeiters, der auf die Frage nach seinem Tun entweder antworte, er klopfe Steine, oder – wenn ihm die Bedeutung seiner Tätigkeit bewusst ist – er baue an einer Kathedrale mit.

Als empirisch am besten belegtes und wirksames Modell empfahl die Expertin das Konzept der „Transformationalen Führung“, das von einer Führungskraft eine Vorbildrolle und das individuelle Coaching der Teammitglieder einfordert – und die Inspiration der Beschäftigten. Um dies leisten zu können, müssten Führungskräfte zunächst auf ihren eigenen Energiezustand achten. Leider habe Corona allerdings auch unter ihnen einen deutlichen Trend in Richtung Erschöpfung ausgelöst, berichtete Prof. Bruch.

Mithilfe ihrer mobilen Endgeräte wurden die Zuhörerinnen und Zuhörer dann selbst zum Untersuchungsgegenstand. In einer Live-Messung wurden sie gebeten, anonymisiert Einschätzungen zu ihrem individuellen beruflichen Umfeld abzugeben. Wenige Minuten später meldete sich eine Mitarbeiterin von Prof. Bruch per Livestream aus St. Gallen mit der Auswertung. Anhand einiger beispielhafter Ergebnisprofile erläuterte sie positive oder bedenkliche Konstellationen und mögliche Ansatzpunkte für Verbesserungen.

In der anschließenden Podiumsdiskussion bestätigte Alena Brügger die zuvor geäußerten Thesen. Die Gründerin von „Joypany“ in Göppingen unterstützt Unternehmen, die sich in ihrer Arbeitgeberrolle verbessern möchten. „Wir alle leisten viel besser, wenn es uns Spaß macht“, lautet ihr Credo. Das gelinge, wenn die Bedürfnisse und Anforderungen aus anderen Lebensbereichen bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt würden. Brügger plädierte außerdem dafür, dass Firmen ihr Recruiting neu ausrichten sollten. Statt formaler Qualifikationen müsse Motivation das ausschlaggebende Kriterium sein: „Das neue Masterstudium ist es, Bock darauf zu haben, den gemeinsamen Weg im Unternehmen mitzugehen.“ 

Neue Wege in der Ansprache potenzieller Mitarbeiter hat auch Dirk Frintrop für seine Firma entdeckt. Als Vorstandsvorsitzender des IT-Unternehmens Bütema AG aus Bietigheim-Bissingen setzt er nicht auf den direkten Wettbewerb mit großen Konzernen um Arbeitskräfte. Für ihn stellen die individuelle Kommunikationsfähigkeit und die Identifikation mit dem Unternehmen, das sich als regional verankerter Arbeitgeber mit ökologischem und sozialem Engagement positioniert, entscheidende Faktoren dar. Außerdem investiere sein Unternehmen viel in die Weiterentwicklung von eigenen Mitarbeitern zu guten Führungskräften, berichtete Frintrop.

Bei dem anzusetzen, was die Belegschaft beschäftigt, ist für Markus Reisch, Geschäftsführer der KEMMLIT Bauelemente GmbH die entscheidende Führungsaufgabe. Durch regelmäßige Mitarbeiterbefragungen, aber auch durch Check-out-Gespräche mit Personen, die das Unternehmen verlassen, werden Herausforderungen identifiziert und mit den betreffenden Teams gemeinsam angegangen. Die entsprechende Qualifizierung der Führungskräfte sei dafür eine elementare Voraussetzung, so Reisch. Notwendig sei außerdem die Verankerung von Zeitbudgets, die für Mitarbeitergespräche reserviert sind. Nur Betriebe, die hierfür die notwendigen Ressourcen bereitstellten, hätten künftig eine Überlebenschance.

Abschließend bedankte sich Martin Peters für den inspirierenden Input an diesem Abend und wünschte den Gästen ein erfolgreiches Netzwerken bei den anschließenden Gesprächen.

Eindrücke von der Podiumsrunde

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